"Sensis plus" - ein Praxistest

(Bericht/Meinung, eingetragen von gerald am 26.04.2011)

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Immer mehr Weintrinker sind bereit, für einen guten Tropfen auch einigermaßen tief in die Tasche zu greifen. So gesehen verwundert es kaum, dass auch der Markt für die diversesten Wein-Accessoires immer größer wird. Während bei den meisten (Korkenzieher, Dekanter, Ausgießhilfen etc.) die Funktion einleuchtend ist, kommen auch immer wieder Innovationen aus der "Esoterik-Ecke" hervor. Damit meine ich solche Utensilien, die den Wein auf geradezu magische Weise verbessern oder zumindest verändern sollen und über deren Wirkungsweise sich die Hersteller in Schweigen hüllen.

Eines dieser geheimnisvollen Produkte ist die Glasserie "Sensis plus" *) der ansonsten seriösen Glashütte Eisch in Frauenau (Niederbayern) unweit der tschechischen Grenze. Der Hersteller verspricht, dass die Gläser den Prozess der Belüftung des Weines nach dem Öffnen (z.B. im Dekanter) dramatisch beschleunigen sollen und schon nach wenigen Minuten der Effekt von ansonsten stundenlanger Belüftung erreicht wird.

Da ich vom bekannten Weinjournalisten Michael Pronay dankenswerter einige Gläser der Serie zur Verfügung gestellt bekommen habe, lag es nahe, diese "wunderbare" Wirkung in der Praxis zu testen.

Versuch 1 - erster Teil

Versuchsbedingungen: Zum Einsatz kommen jeweils 2 Gläser der "Sensis plus" Serie (Rotwein, ca. 600 ml Volumen), ein baugleiches - ebenfalls von Eisch - ohne diesen Effekt sowie als Referenz das in Höhe und Volumen ungefähr gleiche Riedel Vinum Bordeaux. Der getestete Wein ist ein Blaufränkisch Eisenberg 2007 von Uwe Schiefer (Welgersdorf, Südburgenland), ein Wein, der zur Zeit noch ziemlich viel Luft benötigt, um sich vollkommen zu entfalten. Die Temperatur des Weines sowie der Umgebung (ungeheizter Raum) betragen etwa 16 °C, der Wein wird frisch geöffnet und jeweils ca. 80 ml in jedes der vier Gläser gefüllt. Nach etwa 5 Minuten wird innerhalb einer Stunde regelmäßig Geruch und Geschmack aller vier Gläser von mir geprüft.



Ergebnis: In der Nase ist durchaus ein Unterschied zwischen den "Sensis plus" Gläsern und den beiden Referenzen (Eisch "normal" und Riedel Vinum Bordeaux) festzustellen - die Aromen in den "Sensis plus" Gläser wirken irgendwie wärmer, erinnern ein bisschen an Gewürze und gekochte Beeren. In den Referenzgläsern hingegen der gewohnte Charakter des Weines mit eher kühlen Aromen, dem typischen Eisenberg-Ton nach Haarwasser sowie Waldbeeren. Der Unterschied zwischen den Gläsern ist aber nicht so dramatisch, dass man Suggestionseffekte gänzlich ausschließen könnte. Am Gaumen hingegen mehr Abweichungen: der Wein aus den "Sensis plus"-Gläsern wirkt breiter, die Säure tritt eher in den Hintergrund.

Versuch 1 - zweiter Teil

Da vom ersten Teil noch ca. die Hälfte der Flasche übriggeblieben ist, habe ich sie mit dem Originalkorken verschlossen und etwa einen Tag bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Anschließend wurde der - nun bestimmt belüftete - Wein nochmals in derselben Versuchsanordnung verkostet.

Ergebnis: Mit dem bereits an der Luft konditionierten Wein ist kein signifikanter Unterschied zwischen den vier Gläsern festzustellen, weder in der Nase noch am Gaumen. Es überrascht allerdings, dass sich der Wein innerhalb des Tages ganz und gar nicht so weiterentwickelt hat, wie es das "Sensis plus" vermuten hätte lassen.

Versuch 2

Versuchsbedingungen: Wie bei Versuch 1, allerdings kommen die kleineren Weißweingläser der "Sensis plus" Serie, ein baugleiches "normales" von Eisch sowie ein - geringfügig größeres - Riedel Vinum Universal zum Einsatz. Als Wein wähle ich einen Grünen Veltiner Achleiten Smaragd 2007 vom Karthäuserhof in Weißenkirchen (Wachau). Der Wein kommt frisch aus dem Kühlschrank und wird unmittelbar vor Einschenken (wieder 4 x 80 ml) geöffnet. Geruch und Geschmack werden ebenfalls ab 5 Minuten nach Einschenken beobachtet.

Ergebnis: Dieses Mal kann ich keinen klar erkennbaren Unterschied im Aroma feststellen, außer dass diese im Riedel Vinum intensiver wirken, was vermutlich mit dem größeren Volumen zusammenhängt. Allerdings macht der Wein aus den "Sensis plus" Gläsern am Gaumen - wie schon beim ersten Versuch - einen breiteren Eindruck, die Säure vor allem im Abgang wirkt gemildert.

Resumé: Meiner Meinung nach gibt es durchaus einen Unterschied zwischen den "Sensis plus" Gläsern und solchen ohne diese Eigenschaft. Allerdings scheint der Effekt deutlich anders als die normale Entwicklung des Weines an der Luft zu sein. Besonders beim Blaufränkisch Eisenberg verändert das Glas den Wein so, dass sein spezieller Charakter verlorengeht. Man könnte auch sagen, das Glas lässt den Wein nicht atmen (wie der Hersteller behauptet), sondern verfälscht ihn eigentlich.

Zur Technik: Auch wenn die Produktion ein großer Geheimnis ist, wird es sich wohl um einen anorganischen Zusatz zur Glasschmelze handeln - ich vermute irgendein Metalloxid. Dieses wird wahrscheinlich als Katalysator für die Oxidation diverser Wein-Bestandteile mit Hilfe des Luftsauerstoffes fungieren, vielleicht auch nur des Sulfit. Für genauere Nachforschungen fehlt mir leider die Laborausrüstung. Andere Glashütten verfügen aber selbstverständlich über eine solche und hätten ähnliche Produkte bestimmt auf den Markt gebracht, wenn es tatsächlich eine nützliche Innovation wäre ...

*) Das "Sensis plus" wurde früher unter dem Namen "breathable glass" vertrieben, diese Bezeichnung wurde aber aufgrund des Rechtsstreits (siehe unten) geändert.

UPDATE Mai 2010:

Zufälligerweise habe ich auf decanter.com gelesen, dass Eisch einen vom Konkurrenten Riedel angestrengten Prozess verloren hat und daher die versprochenen "wunderbaren" Eigenschaften der Gläser nicht mehr bewerben darf. Chemisch/physikalische Untersuchungen wie auch sensorische Prüfungen durch geschulte Verkoster konnten keine Unterschiede zu den "normalen" Eisch-Gläsern belegen und Eisch selbst hat darauf verzichtet, eigene Beweise für die Wirksamkeit zu erbringen.

Damit ist wohl rechtsgültig erwiesen, dass der Effekt der Gläser auf einem reinen Placebo-Effekt basiert. Interessant ist dabei auch, dass gar nicht so wenige angesehene Weinexperten auf diesen Placebo-Effekt hereingefallen sind und vollmundig die Vorteile der Gläser kundgetan haben. Das trägt meiner Meinung nach durchaus dazu bei, die Relevanz von Weinführern etc. kritisch zu betrachten.

Quelle: http://www.decanter.com/news/296040.html

Links:
http://www.eisch.de/de/website/sensisplus/index.php
http://www.talk-about-wine.de/topic.asp?TOPIC_ID=4180


6 Kommentar(e):

Istrie am 10.04.12 18:53

Ich glaube auch an einen Gott, obwohl ich ihn nicht sehen kann und beweise für Gott oder Jesus Christus gibt es nicht, aber es gibt zahlreiche Katholiken. Eisch wird schon seine Gründe haben warum er auf einen Beweis verzichtet. Würde er beweisen wie das Verfahren gemacht wird, würde Riedl das Verfahren sofort auch anwenden und genau das bezweckt Riedl mit seiner Klage. Riedl will diese Gläser aufgrund des großen Erfolgs von Eisch auch fertigen und will das Geheimnis dahinter wissen und genau darum geht es und ich finde es gut, das Eisch sein Geheimnis nicht preis gibt, warum sollten nur immer die "großen" Marken Erfolg haben und nicht auch mal kleine Firmen. Riedl führt gegen viele, sogar sehr viele Glashütten Prozesse. Riedl will mit aller Gewalt "Alleinherscher" auf dem Markt werden und vergönnt keinen Konkurrenten Erfolg. Ich glaube nicht das hier auf eine Placebo-Effekt hereingefallen wurde, sondern das der Schreiber nur an das glaubt was auch zu 1000% bewiesen wurde, aber manchmal gibt es berechtigte Gründe, nicht jedes Geheimnis öffentlich zu machen.

gerald am 11.04.12 08:54

Hallo Tina,

das ist sicherlich eine Erklärung, aber aus meiner Sicht nicht so plausibel. Mit dem Glauben an Gott kann man das meiner Meinung nach nicht vergleichen. Denn Eisch muss ja von den Umsätzen leben, daher ist das Urteil wirtschaftlich ein enormer Rückschlag, wenn man bedenkt, dass es ihnen gerichtlich verboten wurde, mit den "wunderbaren" Eigenschaften zu werben - sogar der Name der Gläser musste geändert werden. Dass Riedel nur hinter das Fertigungsgeheimnis kommen wollte, ist auch nicht sehr glaubhaft, denn das Verfahren wurde Riedel ja vor Eisch angeboten und wurde nur mangels Nachweisen für die Wirksamkeit nicht gekauft.

Ob es "nett" von Riedel war, die Sache gleich vor Gericht zu zerren, ist natürlich eine andere Frage. Aber so ist nun mal die Wirtschaft ...

Grüße,
Gerald

Istrie am 11.04.12 11:02

Hallo Gerald, ich glaube gerade deshalb weil Riedl die Gläser zuerst angeboten bekommen hat und dann erst durch Eisch merkte das sie so erfolgreich werden, will er das Geheimiss dahinter wissen. Eines ist klar, Riedl will unbedingt die Herausgabe des "Firmengeheimnisses" von Eisch um die Gläser dann auch fertigen zu können. Der enorme Schaden bei Eisch geht zu Lasten von den einfachen Arbeitern, Mitarbeiter werden entlassen und Kurzarbeit steht vor der Tür. Riedl will Marktführer werden und das mit aller Macht. Weißt du das er beispielsweise auch mit Schott vor Gericht war, als Schott Gläser auf den Markt brachte und die mit "unzerbrechlich" bewarb? Laut Riedl gibt es keine unzerbrechlichen Gläser, denn wenn ich mit dem Panzer drüber fahre dann zerbrechen laut Riedl auch diese Gläser. Es wäre für Eisch auch ein rießiger wirtschaftlicher Rückschlag, wenn er das Verfahren offen legt und andere Firmen diese Gläser dann auch anbieten könnten. Glaub mir, wenn das eines Tages der Fall ist, ist Riedl der erste der die Gläser dann auch fertigen lässt. Und sollte das ganze wirklich Placebo sein, dann haben auch in der Medizin Placebopräparate ihren festen und sehr wichtigen Platz. Das mit dem ändern des Namens war übrigens noch nicht genug, Riedl klagte weiter und im Zusammenhang mit (fortan Sensis-Gläsern) darf die Bezeichnung (atmendes Glas) nicht mehr beworben werden. Riedl will Eisch und andere Glashütten kaputt machen. Oder warum glaubst du das Riedl das macht? Was hat Riedl davon, ob Eisch seine Gläser so bewirbt? Mir tun die kleinen Glashütten leid, die durch Riedl kaputt gemacht werden und sich (auch wegen finanziellen Gründen) gegen Riedl nicht wehren können. Riedl geht über Leichen. Er hat im Bay. Wald vor fast zehn Jahren einen Konkurrenten aufgekauft und von drei Glashütten zwei schon geschlossen. Auch wenn Riedl das Verfahren zuerst angeboten wurde, wurde ihm damals nicht das komplette "Fertigungsverfahren" mitgeteilt, dass nur noch so nebenbei.

Grüße
Tina

gerald am 11.04.12 11:25

Hallo Tina,

man kann sicherlich den Umgang von Riedel mit den Mitbewerbern kritisieren, aber darum geht es hier ja gar nicht. Selbst wenn das "atmende Glas" funktionieren würde, wäre aus meiner Sicht und auch vielen anderen Weinfreunden der Nutzen eher gering und sicherlich nicht der "Renner" im Programm. Ich glaube gerne, dass der Schaden für Eisch groß war, aber wenn es wirklich funktioniert hätte, dann hätte man es eben beweisen müssen. Wenn das nicht möglich ist (oder man es nicht will), dann darf halt damit nicht werben.

Grüße,
Gerald

griusel am 11.05.14 15:05

Auch wenn das Thema schon "alt" ist - ich möchte hier auch noch meinen Senf dazugeben. Habe das "Breathable" 2008 zum ersten Mal getestet. Dachte mir noch "so ein Witz, da wird der Kunde wieder Vera....." Dann ein Versuch mit
einem "Ribolla Gialla" 2007 vom Weingut Visintini (Colli Orientali del Friuli). Der in seiner Jugend eher verschlossen wirkende Wein duftete erstaunlich intensiv - im Gegensatz zum "normalen" Weißweinglas von Schott Zwiesel; geschmacklich zeigte sich der Wein im "Breathable" außergewöhnlich strukturiert, beinahe intensiv in den sonst eher zarten Aromen. Für mich war das "Breathable" der eindeutige Sieger, obwohl ich extrem skeptisch an das Experiment herangegangen bin. Ich unterstelle mal, dass 90% aller Leute die mit Wein zu tun haben, bei derartigen Tests nicht das richtige Näschen haben, was ich leider sehr häufig auch bei wichtigen internationalen Verkostungen miterleben durfte. Das ist keine Häme sondern eine Tatsache. Schäbig fand ich den Umgang von Riedel mit der Angelegenheit. Kein guter Stil, aber vielleicht geben sie damit indirekt zu, dass deren Gläser auch nicht der Kracher sind. Aufgrund des Umgangs mit der Konkurrenz steht für mich fest. Niemals kommt mir ein Riedelglas auf den Tisch. Basta!

AlexB am 05.06.21 13:17

Der Unterschied oder der Effekt dieser Gläser ist definitiv da und es ist auch kein Placeboeffekt! Ich finde, man schmeckt den Unterschied am stärksten mit einer Cola...ich merke ihn sogar mit einem Mineralwasser...
Ich trinke sogar das Bier am liebsten aus diesem Glas. Nun sind meine zwei Rotweingläser kaputt gegangen und ich bestelle mir wieder die
"Sensis plus" Gläser, weil sie unglaublich und es wert sind.



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